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Portaitfotos der Leitung Sozialberatung und Wohnbetreuung im Ute Bock Haus (c) Liebentritt

Wie ist Integration so noch zu schaffen?

Wir blicken in diesem Spätsommer nicht nur zurück auf 2015, sondern mit Hilfe unserer Kolleg*innen auf Jahrzehnte in der Flüchtlingshilfe. Denn nur so lässt sich begreifen, was sich durch die Ereignisse 2015 verändert hat.

Mario, Leiter der Sozialberatung, und Shirin, Leiterin der Wohnbetreuung, haben zusammen über 35 Jahre Erfahrung in der Flüchtlingshilfe und wissen, wie sich die Lebensbedingungen von Geflüchteten in Österreich zum Positiven aber auch zum Negativen wandeln können – je nach politischem Einfluss und Stimmung der Aufnahmegesellschaft. Ein Gespräch.

Flüchtlingshilfe vor 2015

Mario:
„Wenn ich über 2015 spreche, dann muss ich eigentlich noch weiter zurückgehen. Als ich Anfang der 2000er als Sozialarbeiter begann, war die Situation für Geflüchtete in Österreich katastrophal: keine Deutschkurse, keine Werte- oder Orientierungskurse, keine Möglichkeit rechtmäßig arbeiten zu gehen, ganz häufig Obdachlosigkeit und große Armut. Flüchtlinge wurden behandelt wie Menschen zweiter Klasse. Wir haben versucht, ihnen wenigstens Würde zu geben – mehr war kaum möglich. Man hat sich auch nicht getraut, öffentlich viel dagegen zu sagen, weil man Angst hatte, dass sie uns die Beratungsarbeit wegnehmen und wir dann den Menschen gar nicht mehr helfen können.“

Er erinnert sich an die besondere Rolle von Ute Bock in dieser Zeit:
„Der erste Satz, den ich damals in der Flüchtlingshilfe gehört habe, war: Wenn du nicht mehr weißt, wohin, ruf die Ute Bock an. Die Situation war furchtbar für die Menschen damals und Ute Bock hatte ein offenes Herz und auch immer eine offene Tür für sie. Irgendwie hat sie es immer geschafft, noch ein Bett für jemanden zu organisieren, der oder die sonst auf der Straße gelandet wäre. “

2015 – ein Wendepunkt in der Gesellschaft

Shirin:
Man muss sich vorstellen: Traiskirchen war überfüllt, viele schliefen in Zelten oder am Gang oder kamen gar nicht hinein – dann sind sie auf der Straße gestanden und haben von Ute Bock gehört. In der arabischsprachigen Community hat sich damals herumgesprochen: Eine, die hilft.

Ich habe mich im Spätsommer 2015 beim Flüchtlingsprojekt Ute Bock gemeldet, erst ehrenamtlich, ab Dezember dann fix angestellt, weil dringend Arabisch sprechende Berater*innen gebraucht wurden. Einmal kam ein Vater in die Beratung, das werde ich nie vergessen. Ich war die Erste, mit der er hier in seiner Muttersprache sprechen konnte und da kamen alle Erfahrungen raus. Er erzählte mir, wen er von seiner Familie im Meer verloren hatte. Er konnte das erste Mal seine Gefühle in einem sicheren Raum zum Ausdruck bringen. Das haben viele mit uns geteilt: Wie sie bombardiert wurden. Wie viel sie verloren haben. Wie viel Horror die Flucht mit sich brachte. Diese Geschichten haben uns ständig begleitet.“

Auch Ute Bock selbst war präsent:
„Sie hat einmal gesagt: Ich verstehe nicht, was Sie sagen, aber ich weiß, dass es das Richtige ist – weil die Menschen beginnen zu lächeln.

Shirin Behrends-Basha, Leitung Wohnbetreuung im Verein Ute Bock (c) Liebentritt

"Wir müssen immer auch mit dem Herz dabei sein und Gefühle zulassen können," erzählt Shirin über die wichtige Arbeit ihres Teams in der Wohnbetreuung des Vereins Ute Bock.
Foto: Liebentritt

Mario:
„Als die Tragödie mit dem LKW im Burgenland passierte, war das ein Schlüsselmoment. Plötzlich haben die Menschen verstanden, dass hinter dem Wort „Flüchtling“ echte Schicksale stehen – Familien, Kinder. Man hat gesehen, wie unmenschlich in Ungarn mit Flüchtlingen umgegangen wurde. Da war der Anspruch, dass wir in Österreich aber menschlicher sind. Wir wollten die Menschen besser behandeln.

Zum ersten Mal hatten wir in der Flüchtlingshilfe das Gefühl: Es bewegt sich etwas. Unsere Beratungsarbeit hat sich komplett verändert. Es gab auf einmal massenhaft Deutschkurse, Unterstützung, Türen, die sich öffneten.“

Shirin:
„Wir waren auf die Menge an Menschen nicht vorbereitet. Im Schnitt hatten wir 16–18 Beratungen pro Person und Tag – ein Wahnsinn! Aber trotz aller Anstrengung: Es war erfüllend, weil du direkt helfen und die Ankunft in Österreich erleichtern konntest. Das Team im Ute Bock Haus hat wirklich tolle Arbeit geleistet.“

Zeiten des Wandels

Mario:
„2015 haben mich manche politischen Akteure beeindruckt. Deswegen sind die ganzen Möglichkeiten – im Vergleich zu vor 2015 – überhaupt zustande gekommen. Es ist wie, wenn du jahrelang ein Feld bestellst, und nie trägt es Früchte. Dann blühte auf einmal alles und wir konnten jeden Tag gehen und ernten. So war die Situation für wenige Jahre nach 2015: Sprachcafés, Hilfsgruppen, Behördenbegleitung – es war eine Bewegung, die von der Gesellschaft aus gegangen ist.“

Shirin:
„Ich glaube, dass wir damals eine große Rolle gespielt haben. Das bereitet mir extreme Freude in meinem Job. Die Arbeit, die du investierst, ist nicht umsonst. Viele, die damals zu uns kamen, sind heute Teil der Gesellschaft – sie arbeiten, zahlen Steuern, ihre Kinder studieren oder machen eine Lehre. Letzte Woche war eine Familie hier, die ich 2016 beraten habe. Aus vier kleinen Kindern sind junge Männer geworden, drei studieren, einer ist im Gymnasium. Das macht mich unglaublich stolz.“

Mario:
„So um 2018 waren die goldenen Jahre schon vorbei, die Stimmung hat sich erneut gewandelt. Die Politik von Kurz und Strache hat den Nerv der Österreicher*innen getroffen, und die Bereitschaft zur Aufnahme ist zurückgegangen. Politiker*innen haben einen gemeinsamen Feind geschafft, der plötzlich an allen unsere gesellschaftlichen Probleme schuld war. Das Positive wurde nicht mehr gesehen. Es wurden Hindernisse gebaut, viele Möglichkeiten für unsere Klient*innen haben wir wieder verloren.“

Und heute?

Mario:
„Menschen, die heute ankommen, haben einen viel schwereren Integrationsweg vor sich. Heute fehlen Unterstützungsleistungen zur Integration, die eigentlich noch wichtiger wären als damals. Denn Integration funktioniert nicht automatisch: Es gibt keine Integrationsmaschine, wo man den Menschen, bei der einen Seite reinsteckt und er kommt bei der anderen integriert wieder raus. Wir müssen als Aufnahmegesellschaft auch investieren und Möglichkeiten schaffen. Das ist eine Frage des politischen Willens. Heute ernten wir zwar die Früchte der Integrationsarbeit von damals, aber wir müssen auch an die Menschen denken, die jetzt erst ankommen. Und wenn wir jetzt Gruppen haben, die mehr Unterstützung brauchen, dann zahlt sich am Ende auch diese Investition aus. Der Fokus muss wieder auf das Positive. “

Shirin:
„Wir sollten uns daran erinnern, was 2015 möglich war. Die ganze Gesellschaft hat sich damals darauf konzentriert, wie viel Liebe in diesem Land existiert. Wie viele Menschen spontan geholfen haben – ohne zu fragen, ohne Vorurteile. Sie waren einfach da. Ich war selbst überrascht, wie ich am Bahnhof gestanden bin. Kinder haben Bilder gemalt, Familien haben Decken und Essen gebracht. Es war ein Beweis für Menschlichkeit. Und auch deswegen tut es mir so weh, wenn jetzt ein anderes Bild herrscht.“

Was bleibt

Shirin:
„Kein Mensch verlässt freiwillig seine Heimat. Niemand bringt seine Kinder in Gefahr, wenn es eine andere Wahl gäbe. Wir wünschen uns, dass die Gesellschaft wieder Mut und Menschlichkeit zeigt – so wie 2015. Denn am Ende profitieren wir alle von gelungener Integration.“

Mario:
„Ich mache mir große Sorgen, wie es jetzt weiter gehen soll. Wir müssen uns dringend auf die positiven Aspekte konzentrieren, aber die Dinge auch beim Namen nennen. Viele werden heute aus Beratungen entlassen, weil sich niemand mehr ihrer annimmt. Wir versuchen bei uns in der Sozialberatung alle Möglichkeiten auszuschöpfen, den Menschen ein gutes Ankommen, Möglichkeiten zum Deutschlernen und einen Einstieg in die Arbeit zu erleichtern – aber viele Integrationsmaßnahmen werden gekürzt, die Menschen von einer Stelle zur nächsten geschickt, Leistungen einfach nicht ausbezahlt und ganze Familien mit Kindern hilflos zurückgelassen. Wie soll es so weitergehen? In dieser Lage kann kaum einer Integration wirklich schaffen.“

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