Skip to main content
Symbolbild aus dem Ute Bock Haus (c) Sophie Kirchner

Frieden durch Zusammenleben

2015 traurig, aber frei. 2025 angekommen, aber sorgenvoll. So blickt unser Kollege auf seine eigene Flucht aus Syrien als junger Erwachsener. “Heute haben es die Jungen oft noch schwieriger”, erzählt er über Entwicklungen im System.

48 Stunden Zeit zur Flucht

Ich habe zuerst nicht geplant, Syrien zu verlassen, aber mit Mitte 20 ist mir das gleiche passiert, wie vielen anderen. Ich wurde vom Regime festgenommen und ins Gefängnis gesteckt. Gott sei Dank konnte ich freikommen, da ein Onkel eine hohe Position bei der Polizei innehatte und seine Beziehungen für mich einsetzen konnte. Doch ein zweites Mal hätte ich diese Chance nicht gehabt. Ich musste innerhalb von 48 Stunden das Land verlassen.

Ich brauchte einen Tag von Damaskus bis zur jordanischen Grenze. Die gesamte Zeit war ich mit meinen Eltern am Telefon, da ich große Angst hatte, in einen Checkpoint zu geraten und erwischt zu werden. An der Grenze behandelten mich die jordanischen Soldaten sehr ruppig. Sie haben alles durchsucht und mich forsch kontrolliert. In dem Moment war es mir aber egal. Ich war traurig, aber ich war frei. Die ganze Angst ist abgefallen.

Das echte Österreich

In Österreich war alles neu für mich – das Wetter, die Menschen, die Sprache. Selbst die Straßenschilder konnte ich nicht lesen und ich habe das erste Mal öffentliche Verkehrsmittel, wie Straßenbahnen und U-Bahnen, erlebt. Wie, wenn man in ein Wunderland kommt. Ich kannte Europa nur aus Filmen. Zum Glück lebt einer meiner Onkel schon 20 Jahre in Wien und hat mir den Anfang erleichtert.

Ich hatte oft gemischte Gefühle – Heimweh und gleichzeitig war alles aufregend neu. Da waren viele Fragen in meinem Kopf: Kann ich mich gut integrieren? Kann ich die Menschen hier verstehen? Können die Menschen mich verstehen? Kann ich Freundschaften schließen? Worauf muss ich aufpassen?

Spätsommer 2015

Ein paar Monate nach meiner Ankunft 2015 kamen im Spätsommer viele weitere Geflüchtete in Wien an. Damals habe ich viel von den Österreicher*innen gelernt. Ich habe gesehen, wie sie nach der Arbeit zum Westbahnhof gekommen sind, freiwillig weitergearbeitet haben, um den Menschen zu helfen. Wie sie mit dem Privatauto zur Grenze nach Ungarn gefahren sind, um zu helfen. Ich bin selbst Flüchtling und habe Asyl bekommen, und die Österreicher*innen helfen den Leuten, die wie ich, ankommen. Da musste ich einfach mitanpacken. Ich habe mich den Österreicher*innen nah gefühlt, obwohl ich noch nicht gut Deutsch konnte, ein paar Worte vielleicht. Damals haben wir das echte Österreich gesehen – das menschliche.

Heute ist es anders. Die Österreicher*innen sehen oft nur die Syrer*innen, die auf der Straße Probleme machen, und glauben, dass alle Geflüchteten so sind. Leider sieht man in den Medien wenige positive Beispiele. In meinem Freundeskreis sind viele mit Migrationshintergrund. Sie haben sich in Österreich gut integriert, hohe Positionen in ihrer Arbeit und oft schon die Staatsbürgerschaft. Sie gehen in der Gesellschaft unter, denn niemand erzählt ihre Geschichten.

Junge Menschen, vergebene Chancen

Als ich 2015 gesehen habe, wie die Österreicher*innen uns geholfen haben, hatte das eine große Vorbildfunktion für mich. Ich habe anschließend eine Ausbildung zum Integrationscoach gemacht, um in den Sozialbereich einsteigen zu können. Heute berate ich Menschen, die wie ich ihre Heimat verlassen mussten.

In den letzten 10 Jahren wurden leider viele Integrationsmaßnahmen wieder gestoppt oder gekürzt. Andere Themen nehmen in der Gesellschaft eine große Rolle ein: Der Russland-Ukraine-Krieg, die Covid-Pandemie, wirtschaftliche Folgen davon und der ständige Einfluss von Social Media machen die Situation noch schwieriger. Besonders Jugendliche und junge Erwachsene trifft das schwer: Sie haben keine Schulpflicht mehr und keine Familie hier, bekommen keine Kursangebote und keine Arbeit. Wenn ich in diesem Alter auf diese Art nach Österreich gekommen wäre und nur freie Zeit hätte, ich wüsste auch nicht, wie es mir ergangen wäre.

Stell dir vor, du bist 15 Jahre alt, deine Familie ist in einem Kriegsland, du weißt nicht, ob du einen Aufenthaltstitel bekommst und deine ganze Zukunft ist völlig unklar. Das Asylverfahren dauert auch bei jungen Menschen oft mehrere Jahre. Gerade in dieser prägenden Zeit ist das sehr herausfordernd. Ich möchte schlechtes Verhalten nicht verteidigen, aber sie haben nicht allein Schuld an ihrer Situation. Sie sind mitten in der Pubertät und ihnen wird mit viel Ablehnung aus der Gesellschaft begegnet. Es fehlt das Verständnis füreinander. Das finde ich sehr traurig.

Sorgen und Wünsche

Gerade den jungen Menschen fehlt die Gemeinschaft. Sie fühlen sich nicht als Teil der österreichischen Gesellschaft und suchen doch so dringend nach Zugehörigkeit. Sie bauen sich ihre eigenen Strukturen, denn das System lässt sie im Stich. Der Stopp der Familienzusammenführungen macht es noch einmal schlimmer. So entsteht Frust auf allen Seiten. Das macht mir Sorgen.

Für die Zukunft wünsche ich mir: ein Zusammenleben in Frieden. Dass jede Seite versteht, dass es positive und negative Aspekte in jeder Gesellschaft gibt. Wenn wir das reflektieren und anerkennen, können wir viel voneinander lernen. Ich wünsche den jungen Menschen viele gute Erfahrungen in ihrem Leben, damit sie verstehen, welche Vorteile sie als Teil der österreichischen Gesellschaft haben können.

Unser Kollege möchte anonym seine Geschichte erzählen. Zu viele Sorgen macht ihm die negative Stimmung gegenüber Geflüchteten und er befürchtet negative Folgen, wenn er offen über seine Erfahrung und Meinung spricht.

Ute Bock Newsletter

Bleib auf dem Laufenden!

Flüchtlinge brauchen deine Unterstützung

Deine Spende sorgt dafür, dass Flüchtlinge nicht abgeschottet und perspektivenlos ihr Leben fristen müssen.

Obdach. Beratung. Bildung. Soforthilfe.
Damit Flüchtlinge eine Chance haben!

Flüchtlingsprojekt Ute Bock

Zohmanngasse 28
1100 Wien, AT

info@fraubock.at
01 929 24 24 - 0
Fax: 01 929 24 24 - 99

Fragen zu deiner Spende?

Unser Kollege Michael hilft dir gerne weiter! 

Michael Dobler
Spender*innen-Service
  01 929 24 24 - 56
    spenden@fraubock.at

Spendenkonto

IBAN: AT62 5700 0520 1101 7499
BIC: HYPTAT22