
Mein Weg zum Helfen
2015 flüchteten viele Menschen vor Krieg und Verfolgung nach Europa. Das hat ihr Leben verändert, aber nicht nur ihres: Der Spätsommer 2015 hat die Menschen in Österreich bewegt und viele wollten den Ankommenden helfen – im Ute Bock Haus tun sie das bis heute. 10 Jahre danach erzählen ehrenamtliche und hauptamtliche Mitarbeiter des Vereins auf berührende Weise, welche Bilder ihnen nie mehr aus dem Kopf gehen, warum sie heute helfen und es morgen sogar noch wichtiger ist, dabei zu bleiben.
Wie hast du das Jahr 2015 erlebt?
„Der Spätsommer 2015 war für mich ein einschneidendes Erlebnis. Ich komme aus dem Nordburgenland, dort waren wir schon immer eine Grenzregion. Schon Anfang des Jahres waren bei uns in den Quartieren viele Syrer*innen. Die europäischen Regierungen taten damals so, als hätte man den Sommer 2015 nicht vorhersagen oder vorbereiten können, aber das stimmt nicht. Ich bekomme heute noch Gänsehaut, wenn ich mich daran erinnere, wie wir das – wie in einem Liveticker – miterlebt haben. Erst kamen die Nachrichten, dass in der Türkei die Lager überfüllt sind, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken. Griechenland hat die Grenzen geöffnet, dann haben sie den Zaun in Mazedonien gestürmt. Später die überfüllten Züge von Serbien über Ungarn, bis zum Budapester Bahnhof und zum Westbahnhof in Wien. Viele haben heute noch die Bilder im Kopf, wie Geflüchtete die letzten Kilometer auf der Autobahn gegangen sind. Das einschneidenste Erlebnis war für mich aber, wie die Zivilbevölkerung geholfen hat. Das gab es die Jahre davor nie.“ - Judith, Mitarbeiterin in der Sozialberatung
„2015 hat auch mein Leben verändert. Ich habe zunächst am Westbahnhof geholfen, die Leute zum Einkaufen begleitet und bei der ersten Orientierung unterstützt. Die ganze arabisch-sprachige Community hatte das Gefühl, helfen zu müssen. Eine Begegnung bleibt mir immer in Erinnerung: Die Tochter einer Familie hat sich bei der Überreise am Mittelmeer beide Beine gebrochen. Vater und Onkel haben sie den ganzen Weg bis nach Österreich getragen.“ - Fatima, Ehrenamtliche im Sachspendenlager
„Vor dem Ute Bock Haus gab es 2015 jeden Tag eine lange Schlange. Viele Menschen sind auf einmal gekommen und die Politik war überfordert. Viele waren nicht krankenversichert, aber brauchten dringend medizinische Hilfe. Oder sie haben nirgends einen Platz zum Übernachten gefunden. Teilweise mussten wir Matratzen im Keller auslegen oder sie haben auf den Sofas am Gang geschlafen. Zum Glück gab es von den Österreicher*innen eine große Bereitschaft zu helfen. Sie haben aufgefangen, was der Staat nicht leisten konnte. Man darf nicht vergessen, dass es viele gibt, die sich damals für die Flüchtlinge eingesetzt haben.“ - Yama, Mitarbeiter in der Sozialberatung
„Ich erinnere mich immer noch, dass ich am Westbahnhof ein kleines Kind gesehen habe, der war keinen Meter hoch und hat eine riesige Tasche geschleppt. Ich weiß bis heute nicht, wie der das geschafft hat, diese Tasche zu tragen. Ich habe Geschichten gehört, von Menschen, die Teile ihrer Familie am Fluchtweg verloren und bei uns am Bahnhof erst wieder gefunden haben. Es war furchtbar, aber gleichzeitig schön, weil es damals so einfach war zu helfen. Du musstest dich nur mit Kleidung oder Essen hinstellen und konntest schon jemandem helfen.“ - Judith, Mitarbeiterin in der Sozialberatung

Unser Kollege Yama arbeitet seit über 10 Jahren in der Beratung für Geflüchtete. Aus eigener Erfahrung weiß er, dass der Anfang schwer sein kann.
Foto: Sophie Kirchner
Was war 2015 anders als heute?
„Heute herrscht leider viel Neid und Missgunst. Die Menschen glauben, dass alle Arabischsprechenden geflüchtet sind und Flüchtlinge sowieso alles bekommen. Doch egal, wie jemand gekleidet ist oder nach Außen einen guten Eindruck macht, die Menschen mit Fluchterfahrungen sind innen drin gebrochen. Ich biete ihnen bei der Sachspendenausgabe im Ute Bock Haus oft an, mit mir zu reden, wenn sie etwas bedrückt. Sie müssen sich ausweinen können. Es bräuchte viel mehr psychologische Hilfe, vor allem für die Jugendlichen.“ - Fatima, Ehrenamtliche im Sachspendenlager
„In den letzten 10 Jahren hat sich die Stimmung im Land sehr geändert. Am Anfang hat man den Geflüchteten viele Chancen sich zu integrieren gegeben, heute ist es schwerer. Es fehlen Bildungsmöglichkeiten – nicht nur Deutschkurse, sondern auch andere Bildungsangebote, damit sie schnell in einen Beruf einsteigen können. Ohne wird es nicht gehen.“ - Yama, Mitarbeiter in der Sozialberatung
„Wie 2015 so viele Menschen am Hauptbahnhof angekommen sind, habe ich mich informiert, wo man helfen kann, und bin so zum Verein Ute Bock gekommen. Die öffentliche Stimmung war damals sehr wohlwollend, heute ist das oft anders. Ich will nicht gespalten sagen, aber ich merke, dass es mehr Ablehnung gegenüber Geflüchteten gibt. Besonders bei Leuten, die wenig Kontakt haben. In meinem Umfeld ist das meist kein Thema, weil Helfen da selbstverständlich ist. Wenn ich ablehnenden Menschen begegne, kann ich von meinen Erfahrungen erzählen und ihnen so den Wind aus den Segeln nehmen. Ich erzähle von den Schicksalen, wie zuvorkommend und freundlich alle im Ute Bock Haus sind und dass man natürlich keine Angst vor anderen haben muss.“ - Charlotte, Ehrenamtliche in der Lebensmittelausgabe
„Heute gibt es viel weniger Unterstützung aus der Zivilbevölkerung. Viele Ehrenamtliche haben aufgegeben, weil sie viel zu wenig Begleitung von der Politik in ihren Bemühungen für Geflüchtete bekommen haben. Gleichzeitig werden im System immer mehr Integrationsprogramme zurückgeschraubt und Leistungen gekürzt. Die Menschen haben große finanzielle Sorgen. Angst um ihre Familie, die sie wegen dem gestoppten Familiennachzug nicht mehr nachholen können. Syrer*innen stehen unter enormen Druck und haben Angst jederzeit abgeschoben zu werden. Das trifft auch Iraker*innen und Afghan*innen. Viele hängen jahrelang im Verfahren und bekommen kaum Unterstützungsleistungen. Deswegen ist auch unsere Lebensmittelausgabe so wichtig. Wir wüssten sonst gar nicht, wie diese Familien über die Runden kommen sollen.“ - Judith, Mitarbeiterin in der Sozialberatung

Charlotte engagiert sich seit 2015 in der Lebensmittelausgabe und im Sachspendenlager des Ute Bock Hauses. Ohne die Unterstützung Ehrenamtliche wäre die Soforthilfe für Geflüchtete nicht machbar.
Foto: Sophie Kirchner
Was bewegt dich zum Helfen?
„Die Flucht ist für alle Menschen hart. Besonders ältere haben es schwer, denn sie sind wie ein großer Baum mit tiefen Wurzeln. Im arabischen Raum ist die Familie sehr wichtig. Vielen fehlt diese Stütze in einem individualistischen Land wie Österreich. Vor allem ist es auch nicht einfach, um etwas zu bitten. Die Leute brauchen unsere Hilfe wirklich.“ - Fatima, Ehrenamtliche im Sachspendenlager
„Obwohl der Spielraum, den wir von der Politik bekommen, sehr klein ist und viele Steine in den Weg gelegt werden, bedeuten die kleinen Erfolge der Menschen alles. Letztens war eine junge Frau bei mir, die gesagt hat, dass ich die erste Österreicherin bin, die nett ist zu ihr. Mit ihrem Kopftuch wird sie auf der Straße nie respektvoll behandelt. Das ist schlimm einerseits, aber es gibt einem andererseits die Bestätigung weiterzumachen.“ - Judith, Mitarbeiterin in der Sozialberatung
„Die ehrenamtliche Arbeit ist eine sinnvolle Aufgabe, die ich wirklich gerne mache. Im Verein kommen viele aus unserer Gruppe im Sachspendenlager schon jahrelang. Es herrscht eine gute Stimmung und man trifft einfach nette Leute. Ich bin überzeugt, dass im Verein viel Gutes passiert und es einfach gut tut, Gutes zu tun.“ - Charlotte, Ehrenamtliche in der Lebensmittelausgabe
Wie erinnerst du dich an Ute Bock?
„Bei Frau Bock war ich selbst einmal als Jugendlicher, damals noch in der Großen Sperlgasse im 2. Bezirk. Sie hat mir mit einem Ticket für die Wiener Linien geholfen. Als ich dann bei ihr gearbeitet habe, war ich oft zum Plaudern in ihrem Zimmer in der Zohmanngasse oder habe ihr mit dem Einrichten ihres Fernsehers geholfen. Stundenlang konnten wir miteinander plaudern. Am Ende ihres Lebens war ihr Wunsch, dass wir im Verein zusammenhalten und ihre Arbeit fortsetzen. Das wünsche ich mir heute auch.“ - Yama, Mitarbeiter in der Sozialberatung
„Ich war 2015 selbst erst 20 Jahre alt und bin mit diesen Erlebnissen erwachsen geworden. Viele Geflüchtete waren im gleichen Alter wie ich. Sie haben mein Leben geprägt. Ich habe nach dem Studium erst in einer betreuten WG mit unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen gearbeitet und heute berate ich Menschen beim Ankommen im Ute Bock Haus. Frau Bock war für viele ein großes Vorbild, weil bei ihr Menschlichkeit immer an erster Stelle stand. Sie hatte den Ansatz: Wenn jemand dasteht und Hilfe braucht, dann wird geholfen. So war es 2015 und auch heute ist das immer der erste Schritt.“ - Judith, Mitarbeiterin in der Sozialberatung
„Der Abschied von Ute Bock war für alle hart. Sie war wie ein Engel im Haus. Immer wenn sie mich begrüßt hat, hat sie meine Wange berührt. Sie hat selbst Kleidung aus dem Sachspendenlager angezogen, und zurückgegeben, was sie nicht mehr brauchte.“ - Fatima, Ehrenamtliche im Sachspendenlager

Ute Bock sagte immer, für sie ist Helfen einfach normal, denn "das ist doch das, was Menschen füreinander tun".
Foto: Clemens Fabry
Was brauchen wir für eine gute, gemeinsame Zukunft?
„Ich bin selbst als Flüchtlingskind gekommen. Ich war noch jung und gemeinsam mit meinen Eltern unterwegs. Zum Glück haben wir es geschafft. Ich wünsche mir, dass kein Unterschied zwischen Ethnien gemacht wird. Egal, ob jemand aus dem Irak, Syrien, Russland, Somalia oder der Ukraine kommt, es sollten alle die gleichen Chancen bekommen.“ - Yama, Mitarbeiter in der Sozialberatung
„Es bräuchte nicht viel, um das Potential der Menschen zu erkennen. Zeit. Geduld. Verständnis. Ein offenes Ohr. Begegnung auf Augenhöhe. Ich habe mit einem Jugendlichen gearbeitet, den alle als schwierig abgestempelt hatten. Nach ein wenig gemeinsamer Zeit hat sich herausgestellt, dass er ein unglaubliches soziales Talent hat, sich gerne um andere kümmert, viel reflektiert und helfen möchte. Er wird aber nur als ‚schwieriger Jugendlicher‘ gesehen. Die Politik will die Menschen einfach nur loswerden, aber langfristig kommt es uns alle billiger, wenn wir in die Menschen und ihre individuellen Ressourcen investieren.“ - Judith, Mitarbeiterin in der Sozialberatung
Deine Spende gegen Hunger
Niemand soll in Österreich hungern müssen! Deswegen unterstützen wir die Menschen die bei uns leben mit Lebensmitteln. Einmal pro Woche versorgen wir rund 300 geflüchtete Personen mit dem notwendigsten. Vieles dafür bekommen wir von Tafelorganisationen, doch das reicht bei weitem nicht. Vor allem Grundnahrungsmittel wie Öl, Mehl, Milch, Butter oder Nudeln müssen wir zukaufen.
Mit deiner Spende finanzierst du ein Lebensmittelpaket für eine ganze Familie.