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Mitarbeiter Ibrahim schaut auf ein Gemälde von Ute Bock

20 Jahre Flüchtlingsprojekt Ute Bock – Erinnerungen des ersten Mitarbeiters

In 20 Jahren Vereinsgeschichte ist viel geschehen. Wer kann darüber besser berichten, als jemand der fast von Anfang an dabei war? Unser Kollege Ibrahim Ari war der erste fix angestellte Mitarbeiter des Flüchtlingsprojekts und hat mit uns über seine Erinnerungen an Frau Bock gesprochen.

"Die Menschlichkeit stand für sie immer im Vordergrund!"

Am 21. Mai 2002 gründete Ute Bock unseren Verein, der sich seitdem für Geflüchtete einsetzt, denen sonst keiner hilft. Sie wurde dabei von vielen engagierten Ehrenamtlichen unterstützt, die die gleiche Vorstellung von Menschlichkeit teilten. Darunter unser dienstältester Kollege Ibrahim, der ihr erster fix angestellter Mitarbeiter wurde. Ibrahim ist bis heute als Sozialberater im Ute Bock Haus tätig. Er traf sich mit einer unserer neuesten Mitarbeiterinnen Lena zum Gespräch über seine Erinnerungen an die legendäre Mama Bock.

Wie hast du Frau Bock eigentlich kennengelernt?

Ich war damals Erzieher in einer Jugend-WG mit unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen aus afrikanischen Ländern. 2004 wurde die gesetzliche Volljährigkeit von 21 auf 18 Jahre heruntergesetzt, sechs der Burschen wurden plötzlich gleichzeitig als volljährig erklärt und wussten nicht wohin. Frau Bock war Anfang der 2000er viel im Fernsehen und ich wusste: Sie hilft, wenn keiner mehr helfen kann. Also hab‘ ich sie für eine Folgeunterkunft angerufen und sie hat tatsächlich alle Burschen aufgenommen. Ohne Frau Bock wären sie vielleicht auf der Straße gelandet.

Was war dein erster Eindruck von Ute Bock?

Sie war so unkompliziert. Du kommst und sie weiß, du brauchst Unterstützung. Sie gibt sie dir, ohne zu hinterfragen, wieso oder warum. Ich war ihr so dankbar. Ich wusste, ich muss für sie auch etwas tun und habe ihr direkt gesagt: Frau Bock, wenn Sie meine Unterstützung brauchen, Sie können mich ruhig anrufen!

Was war neben der Hilfe für die Klient*innen Frau Bocks Rolle in der Anfangszeit des Flüchtlingsprojekts?

Frau Bock wurde in dieser Zeit Tag für Tag bekannter und diese Bekanntheit hat eine Macht ausgemacht. Wenn ich irgendwo anrief und sagte „Verein Ute Bock“, dann war Ute Bock ein Begriff. Das hat uns und den Klient*innen wirklich sehr geholfen. Sie war so eine Naturgewalt. Sie hat gesagt, was ist! Sie hat nichts erfunden, musste nicht viel nachdenken. Sie hatte ja tagtäglich mit den betroffenen Menschen zu tun.

Ute Bock im Beratungsgespräch

Ute Bock half wo es ging - und häufig auch in Fällen, wo es eigentlich nicht ging
Foto: Kramar

Wie war die direkte Zusammenarbeit mit ihr?

Frau Bock war eine Persönlichkeit, die auf Regeln nicht so genau geschaut hat und auch immer wieder ein Auge zugedrückt hat, denn die Menschlichkeit stand für sie immer im Vordergrund. Ich bin einmal ins Büro gekommen und da schläft plötzliche eine Familie in meinem Büro. Da habe ich gesagt: „Frau Bock, das geht nicht! Das ist mein Arbeitsplatz.“ Da hat sie gesagt: „Ja, aber über Nacht nicht! Was sollte ICH denn tun? Soll ich sie auf die Straße schmeißen. Des tua i sicha ned.“

Frau Bock hat dann den ganzen Tag herumtelefoniert. Sie hat immer genau gewusst, wer gehört wohin und wo kann ich einen Platz beschaffen.

Sie konnte niemanden abweisen.

Das konnte sie wirklich nicht. Sie hat das ganze System anders betrachtet. Diese Person ist da und braucht meine Unterstützung. Auf das hat sie sich fokussiert. Nicht darauf, dass da zwei bleiben dürfen und drei wären zu viel, deswegen war auch das Haus einmal bis auf die Gänge voll, weil sie die Leute nicht rausschmeißen wollte. Sie hat sich gedacht: „Ich bin nicht schuld, dass es im Haus so voll ist, sondern die Leute, die die Menschen aus dem System vertrieben haben. Warum soll ich mich schämen dafür, dass ich meine Türe aufmache, während andere aber ihre Türen geschlossen haben."

Mit versperrten Türen hatte sie es wohl nicht so sehr?

Es war schwierig, Öffnungszeiten mit ihr zu vereinbaren. Wir dachten wir hätten es geschafft, nachdem wir aber um 18:00 Uhr weg waren, sind die Klient*innen wieder zu ihr gekommen. Sie haben an Fenster und Türen geklopft und sie hat ihnen immer aufgesperrt. Das war Frau Bock. Wie sie dann doch mal in einer Pause was gegessen hat, hab ich sie eingesperrt, damit mal keiner reinkommt. Sonst hat sie alle, die da sind, immer zu sich hereingelassen.

Ute Bock am Telefon

Ihr Telefonbuch bedeutete Hilfe für Geflüchtete in Not
Foto: Kramar

Sie hat ihr letztes Hemd gegeben…

Ich hab nie gesehen, dass sie was zum Anziehen gekauft hat. Sie hat auch genauso was von den Sachspenden genommen, zum Beispiel Schuhe. Sie hatte einen Hallux und wir wollten ihr Gesundheitsschuhe zum Geburtstag kaufen, aber das wollte sie nicht. Sie nahm die Hausschlapfen und ging dann so in die Schulen. Eigentlich hat Frau Bock auch immer im Büro geschlafen. Sie hat gearbeitet bis 2, 3 Uhr morgens und dann ist sie im Sessel zurückgelehnt vor dem Schreibtisch eingeschlafen.

Welchen Eindruck hat Frau Bock auf die jungen Klient*innen gemacht?

Am Anfang kamen viele Geflüchtete vor allem aus afrikanischen Ländern wie Gambia, Nigeria, Sierra Leone, Kongo. Für sie war sie Mama Afrika. Wenn sie zu uns gekommen sind, haben sie immer gesagt: Ich komme zu Mama Afrika. Nicht Frau Bock, keine Namen. Sie war für sie Mama und alles, was Mama sagt, wird wie von einer Mutter verstanden und auch dieser Respekt ist da. Sie haben sie respektiert, weil sie gewusst haben, diese Frau versucht sie zu unterstützen, was sie woanders nicht bekommen.

Das Flüchtlingsprojekt hatte über die Jahre viele Stationen. Seit Mai 2012 – also auch schon seit bereits 10 Jahren – hat der Verein in der Zohmanngasse ein Zuhause gefunden. In dem Haus, einem ehemaligen Gesellenwohnheim, war Frau Bock bereits in den 80ern als Erzieherin tätig.

Du hast einmal erzählt, dass dein jetziges Büro in der Zohmanngasse Frau Bocks Zimmer war.

Ja, sie hat dann nach dem Umzug auch hier gewohnt. Hier stand ihr Bett (zeigt auf seinen Schreibtisch). Ihr früheres Zimmer als Büro zu bekommen, war für mich ganz, ganz wichtig, weil ihr Geist noch da ist. Dass sie von uns gegangen ist, war am Anfang schwierig für mich. Ich musste für mich einen Weg finden, damit ich weitermachen kann. Ich mache diese Arbeit gerne, kann mich damit identifizieren. Frau Bock ist für mich bis heute ein Vorbild.  Sie hatte immer eine Bitte an uns: Ansprüche, auch wenn es 100% unmöglich scheint, bis zum letzten ausschöpfen. Ausnahmen bestätigen die Regeln. Ich habe mir wirklich viel von ihr abgeschaut.

Wie siehst du die Zukunft des Vereins? Wie soll es weitergehen?

Was den Verein Ute Bock ausmacht, ist, dass wir Flüchtlingen helfen, denen sonst keiner hilft. Das soll so bleiben. Frau Bock wollte mit ihrem Verein nie abhängig sein. Als teilgeförderter Verein können wir flexibler agieren und anderen Menschen helfen als andere Einrichtungen. Das ist gut so. Das soll auch so bleiben.

Was hätte sich denn Frau Bock für die Zukunft der Geflüchteten in Österreich gewünscht?

Mehr Chancen bei der Integration der Geflüchteten auf dem Arbeitsmarkt. Sie hat immer gesagt, dass sie mit AMS und Sozialamt zusammenarbeiten will, um mehr bei der Arbeits- und Wohnungssuche zu bewegen. Auch zu den jungen Geflüchteten hat sie immer wie eine Mutter gesagt: „Du machst jetzt diese Lehre. Du machst diese Weiterbildung.“ Sie hat sehr viel Wert daraufgelegt, dass die Jugendlichen schnell Deutsch lernen. Das war für sie ein wichtiges Thema. Sie hat noch erlebt, wie wir 2017 das Ute Bock Bildungszentrum eröffnet haben. Ich durfte ihr den Schlüssel übergeben.

Dieser Artikel ist Teil unserer Blog-Serie zum 20-jährigen Vereinsjubiläum. In den kommenden Wochen werden wir mit vielen weiteren Menschen über ihre Zeit beim Verein sprechen.

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